heute muss ich weinen
Therapie. Ein Wort, das jahrelang auf meiner To-Do-Liste gestanden ist. Tag für Tag mitgewandert, bestimmt 1000 Tage lang. Jeden Tag neu geschrieben, aber schnell wieder verdrängt. Zu normal dafür. Im Rausch mutige Pläne geschmiedet, Am Montagmorgen dann schnell wieder über Bord geworfen. Brauche ich wirklich einen Therapeuten? Oder genügt vielleicht Yoga und Meditation?
Hin- und her katapultiert zwischen den Extremen. Gemütszustand, der mit der Liebe, den Lieben, korreliert. Druck, Stress, Exzessive, Drama. Weinen, tagelang. Ich frage mich, ob ich vielleicht nie verrückt geworden wäre, wenn ich nicht davon gehört, gelesen hätte. Oder hätte ich die Verrücktheit dann erfunden? Wer weiß das schon, ich jedenfalls nicht.
Auffallen um jeden Preis. Schaffte es nicht, nicht zu übertreiben, Mittelmaß zu sein. Als die Britney Momente Überhand genommen haben, hab ich mich endlich überwunden. Vor der Explosion oder danach oder vielleicht war es auch währenddessen. Die Erinnerungen verschwimmen. Letzten Sommer war das auf jeden Fall. Die Liebe war schuld. Nein, nicht schuld, sondern ausschlaggebend. Wie so oft.
Wir dateten uns, es fühlte sich leicht an. Ich war so verliebt, du trugst mich auf Händen, behandelst mich wie eine Göttin, deine Göttin. Wir urlaubten in der Toskana, deine Haut auf meine Haut den ganzen Tag, die ganze Woche. Wir redeten über dich und über mich, schmiedeten Pläne und schliefen selten. Die Realität war schöner als jeder Traum. Wir aßen Eis, ich deins, du meins. Ich war so glücklich, ich strahle, alles war mir egal, weil ich hatte dich. Wir waren eins. Und dann war das plötzlich nicht mehr so.
Ich hab mich überwunden, bin zur Hausärztin. Die Sprechstundenhilfe hatte Mitleid mit mir. Mein Mundschutz war durchnässt, weil ein Tränenmeer. Sie hat mich sofort drangenommen. Als ich rausgegangen bin, war eine lange Schlange vor der Tür. Es muss viel Zeit vergangen sein. Aber endlich hatte ich eine Überweisung für eine Gesprächstherapie.
Drei Therapeut*innen später bin ich viele Erkenntnisse reicher. Viel früher hätte ich den Schritt schon wagen sollen. Viel mehr Menschen sollten das Angebot in Anspruch nehmen. Aus viel weniger Hürden sollte so eine Therapie bestehen.
Zu viel Druck, mentaler Stress, spontan eine Therapiestunde dazwischengeschoben, ach tut das gut! Die Sonne scheint, das ist mir gar nicht recht. Einen kurzen Moment wünsche ich mich in meine dunkle Wohnung zurück, da fällt einem traurig sein leichter. An solchen Tagen lautete mein Mantra: Nicht durchdrehen. Und dabei ist alles erlaubt. Langsam machen, Arbeit abgeben, Tee trinken, ausgiebige Spaziergänge, Nachrichten lange nicht beantworten, gar nicht beantworten.
Nach einem Tief kommt ein Hoch. Aber das vergesse ich oft. Heute, fast ein Jahr nach meinem ersten Besuch beim Therapeuten weiß ich aber zumindest: Es hilft. Und außerdem: Wer ist schon normal?