frage des monats: wie geht es dir?
Anna
Ich sitze in meine heilige Couchdecke von Grüne Erde eingewickelt und von brennenden Kerzen umringt im Wohnzimmer, in meinem Schoß eine Schüssel mit Schokorosinen, draußen nieseliges Februarwetter – trotzdem zeigt meine Smart Watch, dass ich heute schon über 11.000 Schritte gemacht habe. Also ich würde sagen, mir geht’s hervorragend.
Im Großen und Ganzen stimmt das auch. Ich habe meine Wohnung und somit meinen safe space noch mehr zu schätzen gelernt, ich koche sehr viel und gönne mir fancy Brunch Boxen. Ich habe meine Hose-mit-Gummizug-Auswahl erweitert, mehrere Bücher gelesen und Zeit für kreative Projekte. Ich weiß nicht, wie viel davon mit Lockdown 3 (oder 4?) zu tun hat und wie viel normale Winterstimmung ist. Und so toll ich es auch finde, dass ich momentan so viel Zeit für Selfcare habe, dass mir die Gesichtsmasken ausgehen, ich vermutlich bald willhaben-Nutzerin des Monats werde und ich mich gerade wirklich nicht über zu volle Terminkalender beklagen kann, so sehr sehne ich mich auch schon nach meinem „normalen Leben“. Damit meine ich aber nicht ewig lange Arbeitstage, Wochenenden voller Freizeitstress und zu wenig Zeit für mich.
Es gibt durchaus sehr viele Gewohnheiten der letzten Monate, die ich mir beibehalten möchte:
Früher ins Bett gehen.
Jeden Abend zumindest 10 Minuten (meistens eher 20 Minuten) lesen und somit keine Screentime mehr direkt vor dem Schlafen. Das hat auch den Vorteil, dass ich nicht ständig von Serien, die ich gerade schaue oder Insta Storys in meinen Träumen verfolgt werde.
Ich war schon immer die Mealprep-Queen, aber vor allem jetzt, wo die Lokale zu haben, koche ich fast jeden Tag und habe auch unterschiedlichere Dinge probiert. Ich möchte das auch beibehalten und Essen gehen bewusster genießen.
Bewusster Konsumieren: Nach einer Frust-Online-Shopping-Phase im Frühling habe ich mein Shoppingverhalten und meinen Konsum allgemein ziemlich reduziert. Ich kaufe jetzt zwar sehr gerne sehr teures Brot oder andere fancy Lebensmittel, aber ich kaufe mir sonst wenig und merke erst, wie wenig es mir auch abgeht.
Mir kommt vor diese Vorsätze begleiten mich schon seit Jahren mal mehr mal weniger und im letzten Jahr konnte ich sie das erste Mal so richtig umsetzen und einhalten.
Was aber nicht bedeutet, dass ich nicht die ALLERERSTE bin, die sobald es wieder möglich ist, jeden Tag wo anders brunchen geht, die verpassten Stunden in Bars aufzuholen versucht und gleich mal 3 Reisen bucht.
Unabhängig davon bin ich ziemlich in meiner Mitte. Vielleicht hat das was damit zu tun, dass meine 30er Krise vorbei, meine Work-Life-Balance beneidenswert und die Menschen in meinem Leben die Besten sind. Ich freue mich unglaublich drauf, sie alle bald wieder um mich zu scharen und abzubusseln.
Ina
„Wie es mir geht? Nicht so gut“, hat in den letzten sechs Monaten meine Antwort gelautet. Rausch, Ekstase, Explosion, Depression. Tiefpunkt meines Lebens. Und dann wieder von vorne. Teufelskreis. Kreislauf. Kontrollverlust. Tornado. Sogar nachts hab ich aufgehört zu träumen.
Ich kannte das davor nicht, das Nicht-so-gut-gehen. Ein halbes Jahr hab ich jeden Tag geweint, oft stundenlang, manchmal tagelang. Die Tage sind verronnen, ich fühlte mich überfordert, wusste nichts mit mir anzufangen, stellte alles in Frage, konnte nicht schlafen. Tagelang, nächtelang, wer weiß das schon. Zu lang auf jeden Fall. Die Selbstständigkeit überforderte mich, die Beziehung auch. Ich wollte eine hellere, größere Wohnung, ein bisschen mehr Geld hätte alles leichter gemacht, ich vermisste das Reisen und das Feiern, brauchte mehr Abwechslung. Zerstörte Illusionen.
Meine Hündin war oft der einzige Grund, überhaupt erst aufzustehen. Ich hatte keine Kraft, sah keine Zukunft mehr vor meinen Augen. Nur wenige, wirklich ganz wenige wussten, wie es mir wirklich ging. Aber die haben alles gegeben und mich aus dem schier endlos tiefen Loch wieder rausgeholt. Die Zeilen zu tippseln fühlen sich richtig fremd an. Gäbe es nicht unzählige Tagebucheinträge von besagtem halben Jahr, würde ich mir das Loch jetzt vermutlich schon wieder schön reden. „Ach, so schlimm wars doch gar nicht.“ Doch war es. Aber ich bin raus aus dem Strudel. Ich hab geschrieben, um die Echtheit nicht zu vergessen. Schweres Herz, Selbstverstümmelung.
Wie ichs geschafft hab, wieder rauszukommen? Dafür gibt’s kein Rezept. Bei mir war es eine Mischung aus Vielem:
1. Psychotherapie. Mein wohl größtes Achievement. Ich hab lange gebraucht, mir einzugestehen, dass ich Hilfe brauchte und noch länger hab ich gebraucht, mir einen Therapeuten zu suchen. Jetzt, drei Therapeuten später weiß ich, dass es hilft. Und ich weiß, dass ich weitermachen werde. Denn es tut so gut und ist jeden Cent wert.
2. Mogli. Meine Hündin bringt mich hundert Mal am Tag zum Lachen. Ich fühl mich nie alleine, weil sie sowieso 24/7 an meinen Beinen hängt. Ich bin gezwungen, mindestens drei Mal am Tag rauszugehen und frische Luft und Bewegung tut sowieso immer gut. Sie ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist.
3. Kleinigkeiten zelebrieren. Wenn ich gute Stunden hab, feiere ich mein Häferl Matcha Latte, als wäre es eine hauchdünne Schale gefüllt mit Blattgoldchampagner. Ich nehme die zwitschernden Vögel wahr, telefoniere mit einer Freundin, lese auf Hausmauern gekritzelte Gedichte, fotografiere das Licht und beobachte Menschen. Das löst zumindest kurzfristig schöne Gefühle in mir aus.
4. Freunde. Sich mit guten Menschen zu umgeben wenn es einem schlecht geht, bewirkt Wunder.
5. Natur. Ich schaue, dass ich alle paar Tage für ein paar Stunden in den Wald komme. Das erdet mich. Wenn ich das nicht schaffe, dann schaue ich, dass ich abends zumindest für eine Weile den Mond anschauen kann.
6. To-Do Listen schreiben. Coronabedingt sind mein Kalender und meine To-Do Listen alles andere als voll. Ich fand es anfangs ziemlich belastend, die Leere. Ich brauche Aufgaben und so hab ich mich selbst ausgetrixt und meine tägliche To-Do Liste mit Aufgaben wie Wechselduschen, 10.000 Schritte gehen oder Granola machen gefüllt.
7. Ausmisten. Das mache ich eigentlich immer, wenn ich mich akut unrund fühle. Egal ob ich mich dem Aussortieren meines Kleiderschrank oder meiner Facebookfreunde widme, danach ist mir immer leichter ums Herz.
8. Routine schaffen, Normalität vorgaukeln. Trotzdem einen Wecker stellen. Trotzdem frisches Gemüse kaufen. Trotzdem Lidschatten auftragen. Trotzdem Abendessen kochen.
9. Last but not least: Zeit. Darauf vertrauen, dass es wieder besser wird. Auch wenn man es sich im Moment absolut nicht vorstellen kann. Ich musste lernen, geduldig zu sein. Ich habe gelernt, geduldig zu sein. Und zwar am allermeisten mit mir selbst.
Und jetzt kann ich mit gutem Gewissen behaupten: Es geht mir gut. Nicht super, aber gut. Und gut ist soviel besser als schlecht. Ich freue mich auf das Jahr, ich freue mich auf die Zukunft.